Indienststellung der deutschen Litauen-Brigade in Vilnius
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Friedensgutachten: Europa muss sich selbst stärken

Friedensgutachten: Europa muss sich selbst stärken

Europa muss seine eigene Verteidigung stärken und kann sich nicht mehr auf die USA verlassen, fordern führende Friedensforscher in ihrem neuen Gutachten. Scharfe Kritik gibt es an Israel – Deutschland solle seine Waffenlieferungen einstellen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Kriege, Krisen, zerfallende Bündnisse – die bisherige Weltordnung wankt. Währenddessen versucht Deutschlands neuer Bundeskanzler Friedrich Merz, sich außenpolitisch zu profilieren. Diese Woche reist er in die USA. Ein Besuch, bei dem Merz auf US-Präsident Donald Trump treffen soll.

Es ist gerade Trump, der im jetzt vorgestellten Friedensgutachten der vier führenden deutschen Friedensforschungsinstitute unter scharfe Kritik gerät: Ihm sei es gelungen, "in kürzester Zeit und ohne viel Widerstand die älteste Demokratie der Welt in ein autoritäres Regime zu verwandeln", so die Friedensforscher bei der Vorstellung. Die USA stellten einen "weiteren Unsicherheitsfaktor" dar, wie Christopher Daase vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung sagt. "Die transatlantische Partnerschaft, wie wir sie kannten, ist am Ende."

Die Nato gerät ins Wanken

Ein düsterer Befund – insbesondere mit Blick auf das bevorstehende Treffen zwischen Trump und dem überzeugten Transatlantiker Merz. Das Gutachten lässt keinen Zweifel daran: Die gemeinsame Wertebasis zwischen Europa und den USA ist brüchig geworden. Und mit ihr gerät auch das gemeinsame Verteidigungsbündnis ins Wanken.

Zwar, so betonen die Friedensforscher, sei die Nato angesichts der Bedrohung durch Russland derzeit unverzichtbar. Doch niemand wolle offen über ihr mögliches Ende sprechen. Ihr Vorschlag: Europa müsse sich strategisch neu aufstellen, unabhängiger werden. Das bedeute nicht nur, eigene EU-Missionen zu stärken, sondern auch eine tiefgreifende Reform der europäischen Verträge in Erwägung zu ziehen.

Sicherheit nicht nur mit Aufrüstung

Sicherheit allein über Aufrüstung, Abschreckung und militärische Verteidigung herstellen zu wollen, greife dabei aber zu kurz. Die Forscher warnen eindringlich vor einer Eskalationsspirale. Stattdessen fordern sie: mehr Diplomatie, verbindliche Rüstungskontrollen und stabile Partnerschaften. Mehr globales Engagement – nicht weniger, Stichwort: Entwicklungshilfe. Diese hat US-Präsident Trump gleich zu Beginn seiner Amtszeit ins Visier genommen – und drastisch gekürzt. Die für die Entwicklungshilfe zuständige US-Behörde USAID soll zerschlagen werden.

Ein fataler Fehler für die Friedensforscher: Sie sehen in der Entwicklungshilfe nicht nur einen Weg für Frieden, sondern auch einen entscheidenden Hebel beim Thema Migration.

Alabali-Radovan warnt vor "lebensbedrohlichen Folgen"

Fallen die USA bei der Entwicklungshilfe aus, könnten Europa und Deutschland allein die Lücke nicht füllen – das weiß auch die zuständige Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan. Zum Auftakt der Hamburger Nachhaltigkeitskonferenz sagte die SPD-Politikerin: "Die nationalistischen Tendenzen entscheidender Partner, besonders der Rückzug der USA, treffen die Entwicklungspolitik mit voller Härte. Mit lebensbedrohlichen Folgen für zahlreiche Menschen weltweit."

Die Entwicklungshilfe steht unter massivem Druck, die Konflikte auf der Welt verschärfen sich. Im Gutachten heißt es: Mehr als 122 Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Hunger. Besonders schlimm sei die Lage in der Ukraine, im Sudan und im Gazastreifen.

"Völkerrecht massiv gebrochen": Scharfe Kritik an Israels Kriegsführung

Alarmierend ist aus Sicht der Friedensforscher der Umgang Israels mit der Zivilbevölkerung in Gaza. Für Claudia Baumgart-Ochse vom Leibniz-Institut ist klar, "dass Israel in den vergangenen anderthalb Jahren sehr deutlich das humanitäre Völkerrecht massiv gebrochen hat". Seit Monaten gelangen keine Lebensmittel mehr zu den Menschen in Gaza.

Die Friedensforscher fordern einen Stopp aller deutschen Rüstungslieferungen an Israel. Wenn Völkerrecht gebrochen werde, dann "müssen wir über Konsequenzen sprechen. Und das werden wir gemeinsam in der Bundesregierung tun", so Entwicklungsministerin Radovan. Ob und welche Konsequenzen es geben könnte: offen.

Klar hingegen ist: Friedrich Merz mit seinem außenpolitischen Fokus muss sich auf weltweit heikle und teils auch unberechenbare Gespräche einstellen. Für seine nächste Reise zum US-Präsidenten sei er aber "gut vorbereitet", wie Merz' Regierungssprecher sagt. An Gesprächsstoff dürfte es beim Treffen nicht mangeln – die Erwartungen sind groß, ebenso die Herausforderungen.

Das Friedensgutachten

Seit 1987 erscheint das Friedensgutachten, erstellt von vier deutschen Friedensforschungsinstituten: dem Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC), dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg, dem Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen und dem Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF) in Frankfurt am Main.

Deutsche Friedensforscher fordern, dass Europa sich stärker um die gemeinsame Verteidigung kümmert.
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Deutsche Friedensforscher fordern, dass Europa sich stärker um die gemeinsame Verteidigung kümmert.

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